Ehrung für einen russischen Freiheitskämpfer

Ehrung für einen russischen Freiheitskämpfer

Der russische Oppositionelle und Schachweltmeister Garri Kasparow erhält für seine Verdienste als Kämpfer für ein demokratisches Russland den „Freiheitspreis der Medien“.

Anhaltender Applaus für einen ganz Großen: Minutenlang applaudierten die Teilnehmer des Ludwig-Erhard-Gipfels am Tegernsee Garri Kasparow. Der freute sich sichtlich über die Unterstützung aus Deutschland – und aus der Europäischen Union. Denn die Laudatio auf den prominenten russischen Oppositionellen hielt Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäisches Parlaments.

„Dieser Preis ist einem Helden gewidmet, der für ein freiheitlich-demokratisches Russland kämpft“, würdigte ihn die Politikerin. Sie sprach von einem Land, in dem heute von Menschenrechten, Pressefreiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Ordnung zivilisierter Nationen nicht die Rede sein könne. „Garri, du wurdest verhaftet, misshandelt und musstest deine Heimat schon vor Jahren verlassen. Du stehst mit deinem Leben für Freiheit und Demokratie ein. Mehr kann ein Mensch einer Gemeinschaft nicht geben.“

Kasparow habe den menschenverachtenden Charakter des russischen Regimes schon erkannt, als andere in Deutschland nur an Gas gedacht hätten, sagte Beer. Heute vernetze Kasparow weltweit oppositionelle Exil-Russen. „Wir hoffen inständig, dass du deinen langen Atem behältst.“ Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments versprach: „Wir stehen an deiner Seite.“

 

In einer Reihe mit Gorbatschow, Juncker, Tichanowskaja

Kasparow folgt auf Preisträger wie Michail Gorbatschow, Reinhard Kardinal Marx, Jens Weidmann, Jean-Claude Juncker, Fürst Albert II. von Monaco, Swetlana Tichanowskaja und Wolodymyr Selenskyj. Der „Freiheitspreis der Medien“ geht an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich in besonderer Weise für die freie Meinungsäußerung, das gesellschaftliche Miteinander, den politischen Dialog und die Demokratie einsetzen.

„2023 wird die Auszeichnung von uns stellvertretend an den russischen Oppositionellen Garri Kimowitsch Kasparow für alle Menschen verliehen, die für eine Zukunft Russlands in Frieden, Freiheit und Demokratie eintreten und dabei oftmals ihr Leben riskieren“, erklärte Christiane Goetz-Weimer, Verlegerin der Weimer Media Group, die den Preis aufgelegt hat. Das Engagement von Garri Kasparow, seiner Organisationen und Weggefährten mahne: „Individuelle Freiheit, Demokratie und Wohlstand sind nicht selbstverständlich. Die freiheitlich-friedlichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte stehen auf dem Spiel“, befand die Jury.

 

Angst? Nein. Risiken? Immer.

Der 60-jährige Familienvater selbst beschreibt sich als „russischer pro-demokratischer Leader, als globaler Menschenrechtsaktivist, Business Speaker, Autor und früherer Schachweltmeister“. 2012 wurde er zum Vorsitzenden der in New York ansässigen Human Rights Foundation ernannt, als Nachfolger von Vaclav Havel. Angesichts einer bevorstehenden Verhaftung zog Kasparow 2013 von Moskau nach New York City.

Kasparow ließ im Gespräch mit Verleger Wolfram Weimer keinen Zweifel daran, sich unabhängig aller persönlichen Gefahren weiter für Freiheit und Demokratie in Russland einzusetzen. „Würde es helfen, wenn ich Angst hätte? Nein. Ich weiß, dass es immer Risiken gibt, so viele meiner Mitstreiter sitzen im Gefängnis oder sind schon tot. Aber ich habe weiterhin die Hoffnung, dass ein freies Russland möglich ist. Wir, die noch da sind, bereiten den Boden dafür vor.“

Eine demokratische Zukunft sei aber ausschließlich ohne Putin und mit Frieden in der Ukraine möglich. Womöglich helfe innerrussisch dabei auch der Blick darauf, dass die Bedrohung für Russland nicht im Westen liege. „Wir teilen eine tausende kilometerlange Grenze mit China. Und China hat die Ressourcen zu handeln.“

Von Anke Henrich

„Europa ist zu oberlehrerhaft“

„Europa ist zu oberlehrerhaft“

Nicola Beer auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel. Bild: WEIMER MEDIA GROUP

Nicola Beer, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, kritisiert die eigenen Entscheidungswege. Was muss sich ändern, damit Europas Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben?

Die Diagnose ist bekannt: Europas Wirtschaft steht im internationalen Wettbewerb am Scheideweg. Aber: Welche Therapie ist die richtige? „Vor allem muss das Europäische Parlament schneller werden und es muss sich strategisch und geopolitisch stärker aufstellen“, forderte Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, auf dem Ludwig Erhard Gipfel am Tegernsee. „Aber das funktioniert nur, wenn das Prinzip der Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedern in bestimmten Bereichen aufgehoben wird.“

Die FDP-Politikerin wurde konkreter: „Spätestens bei der Erweiterung der EU auf 30 oder 35 Mitglieder müssen unsere Entscheidungswege verschlankt werden. Das ist Pflicht.“ Und sei auch unter Berücksichtigung der Europäischen Verträge machbar. Schnellere Reaktionen und Regulierungen sicherten die europäische Wettbewerbsfähigkeit aber auch nur, wenn „zugleich die Hälfte der bestehenden Regeln abgeräumt wurde“, sagte Beer.

Vorteil Europa, Nachteil China
Um im Wettbewerb um neue internationale Märkte zu bestehen und die EU-Initiative Global Gate Way als Alternative zur chinesischen neuen Seidenstraße attraktiv zu machen, brauche es aber noch mehr. „Wir Europäer treten im Ausland zu oberlehrerhaft auf“, kritisierte sie.

Beer gab sich überzeugt, dass die EU-Initiative trotz der seit mehr als zehn Jahren erfolgreichen chinesischen Projekte zum Aufbau interkontinentaler Handelsbeziehungen mithalten könne. „Diese Länder werden realisieren, dass die Chinesen nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind und die Wertschöpfung in China stattfindet.“ Im Unterschied dazu setze Global Gate Way auf Gewinn für alle Beteiligten.

Chinas Griff nach Normen
Aber auch dieses internationale Engagement allein reicht aus Sicht von Dirk Stenkamp, Vorstandsvorsitzender von TÜV Nord, nicht aus, um Kapital und Knowhow in Europa zu halten oder auszubauen. Er warnte Politik wie Unternehmen: „Wer entwickelt, setzt die Normen und damit die Standards der Zukunft im internationalen Wettbewerb. Doch bei deutschen und englischen Unternehmen hat das Interesse spürbar nachgelassen, sich für gemeinsame Normen international zu engagieren.“ Im Gegenzug dazu flute China beinahe die entsprechenden Gremien weltweit.

„Wer schreibt, bleibt“, brachte es Stenkamp auf den Punkt. Der Experte blickt aus dieser Sicht besorgt auf die Zukunft. „Normung erzeugt eine Geschwindigkeit, auf die die Industrie reagiert. Bei Künstlicher Intelligenz und anderen Zukunftstechnologien sind wir in Deutschland und Europa zu langsam.“ Sein Appell an die Unternehmer: „Schicken Sie Ihre besten Leute in die Normungsgremien.“

Europäisches Mindset fehlt
Entscheidungen, Normen – Europas Zukunft liegt auch am Faktor Mensch. „Wir haben noch kein europäisches Mindset“, beobachtet Nico Nusmeier, CEO der Schörghuber Unternehmensgruppe. Der Niederländer kann es beurteilen. Er spricht sechs Sprachen, hat in acht europäischen Staaten gelebt und gearbeitet.

„Wir vergleichen uns innerhalb der EU gerne mit anderen. Doch der Schlüssel zu Veränderungen ist nicht, zu fragen, was können wir besser als andere, sondern, wo können wir uns mit unseren Stärken ergänzen“, ist er überzeugt. „Spanische Agilität, osteuropäische Leistungsbereitschaft, deutsche Effizienz, der offene Blick der Skandinavier – wir könnten uns in Europa gegenseitig enorm positiv bestärken.“

Rote-Kreuz-Chefin fordert mehr Geld für Bevölkerungsschutz

Rote-Kreuz-Chefin fordert mehr Geld für Bevölkerungsschutz

Gerda Hasselfeldt beim Ludwig-Erhard-Gipfel. Bild: WEIMER MEDIA GROUP

Deutschland muss mehr für den Bevölkerungsschutz tun, wie die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes fordert. Gerda Hasselfeldt verlangt zwei Milliarden Euro pro Jahr. Deutlich mehr als bisher. Die Regierung kürzt stattdessen.

Ob Sondervermögen von 100 Milliarden Euro oder Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben: Im Zuge der inneren Sicherheit wird laufend über die Unterstützung der Bundeswehr diskutiert, der Bevölkerungsschutz kommt dabei nach Ansicht von Gerda Hasselfeldt aber zu kurz. „Es gibt eine Erkenntnis der Politiker, dass die innere Sicherheit eine größere Aufmerksamkeit bekommen muss, sie ist aber noch nicht angekommen. Auch die zivile Sicherheit müsse gestärkt werden“, sagte die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. „Ich weiß nicht, was man noch alles erleben muss.“

Die Deutschen hätten sich lange in Sicherheit gewogen, sagte Hasselfeldt. „560 Millionen Euro investierte die Bundesregierung in ihrem Haushalt 2023 in den Bevölkerungssschutz, letztes Jahr waren es noch 700 Millionen Euro“, sagte sie. „Man hat sogar noch in dieser Phase gekürzt. Das versteht kein Mensch.“ Hasselfeldt bezog sich auf den Ukraine-Krieg. „Nötig wären zwei Milliarden Euro pro Jahr, das ist nicht die Welt.“

 

Mehr Personal nötig

Um die Kapazitäten im Bevölkerungsschutz zu erhöhen, sind der DRK-Präsidentin zufolge neben mehr Geld auch mehr Menschen in Ehren- und Hauptamt nötig. Außerdem müssten alle Akteure besser koordiniert werden, auch bundesländerübergreifend. Das habe das Hochwasser im Ahrtal gezeigt, sagte sie.

Doch woher soll das zusätzliche Personal kommen? Die Chefin des Roten Kreuzes mit drei Millionen ehrenamtlichen Mitgliedern sieht die Lösung unter anderem in einem Allgemeinen Gesellschaftsjahr. „Diese Debatte muss geführt werden“, sagte sie. „Die Frage ist, wie man die Motivation bei den jungen Menschen dafür stärkt.“ Denn ein reiner Pflichtdienst ist Hasselfeldt zufolge „mit 17 Milliarden Euro pro Jahr eine teure Angelegenheit“. „Derzeit geben wir für den Freiwilligendienst 328 Millionen Euro aus.“

 

Verlogenheit bemängelt

Die DRK-Präsidentin forderte, die Bedingungen für Arbeit im Zivilschutz müssten attraktiver werden. 150 bis 400 Euro als Aufwandsentschädigung pro Monat derzeit seien ein Taschengeld. „Das ist eine Angelegenheit für diejenigen, deren Eltern es sich leisten können, die Kinder noch ein Jahr zu Hause zu lassen“, fand Hasselfeldt. Zudem sollten die Fahrtkosten erstattet werden. „Denjenigen, die danach lechzen, sollten wir bessere Bedingungen geben.“ Auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel: Immerhin bleiben gemäß Erfahrung der sozialen Organisationen diejenigen, die Bundesfreiwilligendienst leisten, entweder ehrenamtlich dabei oder sie ergreifen einen einschlägigen Beruf in diesem Bereich.

„Es ist verlogen, wenn Leute den Pflichtdienst fordern, aber die Mittel für den Freiwilligendienst kürzen“, schimpfte Hasselfeldt. Auch die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) plädierte für ein Allgemeines Gesellschaftsjahr, ob freiwillig oder verpflichtend. Dieses sei sowohl bei den Blaulichtorganisationen als auch im ökologischen oder sozialen Bereich nötig.

 

Auch Heer setzt auf Freiwillige

Die Frage nach dem Wehrpflicht-Ersatz treibt auch das Heer um. „Die Bundeswehr ist in hohem Maße von ihren Reservisten abhängig“, sagte Alfons Mais, Generalleutnant und Inspekteur des Heeres. „Wir müssen eine Voraussetzung für den Freiwilligendienst schaffen.“ Denn das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wird nicht reichen. Die ersten Schritte wurden gemacht, wenn auch nicht immer groß genug. Mais sagte: „Wir haben uns jetzt im Heer nicht hingelegt und dann die Freigabe bekommen umzustruktrieren.“

Seit vergangenem Jahr sei man verstärkt dabei, sich auf die Landes- und Bündnisverteidigung einzustellen, sagte Mais. „Wir haben damals den Fehler gemacht, und uns nur auf Afghanistan konzentriert. So etwas sollte nicht mehr passieren“, ergänzte er. „Abschreckung wirkt nur dann, wenn sie glaubwürdig ist und mit dem nötigen Willen hinterlegt ist. Diesen Begriff der Abschreckung haben wir verloren.“

 

Baumarkt-Drohne als Militär-Gerät

Die Unterstützung der Wirtschaft, um mehr Sicherheit zu schaffen, hält Horst Teltschik, Architekt der Deutschen Einheit, für selbstverständlich. Kramp-Karrenbauer ergänzte, dass Wirtschaft und Sicherheit aufeinander angewiesen sind. Dabei bestehe in Deutschland eine starke Trennung zwischen Zivil und Militär. Aber: „Jede Drohne, die Sie im Baumarkt kaufen, kann militärisch genutzt werden. Daher wäre ein mehr vernetztes Denken wichtig.“ Sie hört auch die Beschwerden über die Rüstungsindustrie, kann diese aber nicht nachvollziehen: „Man kann nicht über Jahre sparen, und wenn es darauf ankommt, der Industrie sagen, dass sie zu wenig Kapazitäten hat.“

Waigel für Angebot an Russland im Ukraine-Krieg

Waigel für Angebot an Russland im Ukraine-Krieg

Dr. Theo Waigel, Bundesfinanzminister a. D. bei „Weimers Klartext“ auf dem Ludwig Erhard Gipfel. Bild © WEIMER MEDIA GROUP

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine ist der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel für ein Angebot an den Aggressor. Er stellt aber Bedingungen.

Theo Waigel ist vor allem als Mr. Euro bekannt. Er war aber auch dabei, als die Wiedervereinigung verhandelt wurde, die Sowjetunion sich auflöste und Europa ein neues Gesicht bekam. Der ehemalige Bundesfinanzminister und CSU-Ehrenvorsitzende kann deshalb auch einiges darüber sagen, ob die Sowjetunion von Michael Gorbatschow und danach Boris Jelzin über den Tisch gezogen wurde. Klare Antwort: Nein. Der russische Präsident Wladimir Putin, das wird im Gespräch mit Waigel beim Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee klar, biegt sich die Vergangenheit so, wie er sie will, um den Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen.

Waigel verteidigte die Strategie der Nato, die von Putin gern als Grund für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine genannt wird. Die Erzählungen, dass die Nato habe sich nicht an Abmachungen gehalten, seien eine Mär. Drei wesentliche Punkte hätte man damals besprochen. Erstens: Die Reduzierung der deutschen Armee, keine ausländischen Streifkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und keine Kernwaffen auf Boden der DDR. Dies habe man eingehalten. Alle späteren Nato-Beitritten seien mit Russland abgesprochen worden.

Waigel erinnerte an den Vertrag zwischen Ukraine und Russland 1994, in dem die Ukraine Souveränität bekam und im Gegenzug alle Atomwaffen an Russland abgegeben hat. „Putin bricht alle Verträge“, sagte Waigel. Zum Krieg in der Ukraine sagte der Politiker: „Gewinner wird es nicht geben, aber eines ist klar: Die Ukraine darf nicht verlieren.“ Wie dann ein Waffenstillstand aussehe, natürlich mit Zustimmung der Ukraine, stehe noch in den Sternen. Waigel denkt auch an Referenden in Gebieten, die umstritten sind, um eine völkerrechtlich saubere Lösung zu bekommen.

 

Rückkehr zum Völkerrecht nötig

Zum Frieden sagte er: „Wir können ein Angebot an Russland machen: Wenn Ihr zum Völkerrecht zurückkehrt, wenn Ihr die Souveränität der Ukraine wieder respektiert, dann können wir auch wieder mit Euch zusammenarbeiten“. Dann könne die Transformation der Volkswirtschaft, die in Russland völlig unzureichend gewesen sei, mit westlicher Hilfe, westlichem Kapital und westlichem Wissen stattfinden.

Putin habe erst versucht, seinen Einfluss diplomatisch auszuweiten, „da hat er versagt“, sagte Waigel. Dann habe Putin gedacht, Russland sei ökonomisch stark mit seinen Energiequellen, das habe auch nicht getragen. Als er dann gemerkt habe, dass sich alle Volkswirtschaften um Russland herum nach Europa orientierten und es denen besser gegangen sei, habe er womöglich Sorge gehabt, der Funke könne auf Russland überspringen – möglicherweise „ein Grund für seine fürchterliche Reaktion“, wie Waigel sagte – der Angriff auf die Ukraine.

Von Björn Hartmann